Musik und Menstruation vereinbart: “Dialogue with a rose“

Musik und Menstruation vereinbaren? Die Künstlerin und Feministin Alexandra Vildosola hat genau das erfolgreich umgesetzt. Ein Thema, welches in der heutigen Gesellschaft noch immer tabu ist, wird in “dialogue with a rose“ neu interpretiert. Im Gastbeitrag nimmt dich Alexandra mit auf ein Konzert gegen das Perioden-Tabu:

Nun haben wir das Projekt tatsächlich hinter uns gebracht: Ein Projekt, bei dem Kunst und Periode verschmelzen. Es war schön, ein besonderes Erlebnis und all diese emotionalen Begriffe, die wir Künstler so gerne verwenden. Doch für mich war es auch ungenügend. Nicht die Darbietung, sondern der Dialog.

Wir haben bei D-BÜ 2020 den Preis für Wiederaufführbarkeit gewonnen mit einem tollen Feedback zu Recherche, Verarbeitung, Kostüm und eben dem Konzept, Musik und Menstruation zu vereinbaren. Aber wir hatten eben noch kein “dialogue with a rose“-Konzert. Ohne Publikum fehlt ein Glied und so erinnerte es mich eher an Theaterdialog als an Gespräch. Das zweite, was mich seit letztem November sehr beschäftigte: Schon während wir es gespielt haben, war es nicht mehr aktuell. Wie bleibt man aktuell mit einem Konzert?

Photo Credits: Alexandra Vildosola

Ich weiß doch schon so viel

Ich hielt mich zu Beginn des Themas Menstruation für offen und aufgeklärt: Ich habe nicht mehr mit Tampons “gedealt“. Und wenn mich jemand nach meiner schlechten Stimmung fragte, war ich durchaus in der Lage zu sagen, dass ich menstruiere.

Plötzlich fand ich so viel mehr heraus. Entsprechend habe ich dann so viel wie möglich in dieses Konzert gepackt, um Musik und Menstruation zu kombinieren. Und ich kann jedem Menschen nur empfehlen, sich auf diese Reise zu begeben: Selbst zu lesen, zu recherchieren und unsere Kommunikation zum Thema Menstruation im Alltag ernsthaft zu überdenken.

Eine empfehlenswerte Reise

Da sind zum einen die unterschiedlichen Erlebnisse der Frauen, mit denen ich mich unterhalten durfte. Zum anderen auch der medizinische Aspekt: Hintergrundwissen, welches eigentlich Allgemeinbildung sein sollte und – das ist extrem schockierend – in der Gynäkologie vollkommen nebensächlich ist. Dann ist da auch noch der politische und wirtschaftliche Aspekt. Gerade ist das Thema “Period Poverty“ auch bei uns sehr präsent.

Ich hatte die erste Version des Konzeptes Musik und Menstruation fertig geschrieben, war aber irgendwie noch nicht glücklich. Vor allem der dritte Teil machte mir zu schaffen. Meine Oma empfahl mir ein Buch aus den Achzigerjahren: “Das Schwarzmond-Tabu“. Dieses Buch hat mich persönlich am meisten bewegt. Eine mystische Reise zur Menstruation des Matriarchats. Es wird hier die kulturelle Bedeutung der Menstruation für jegliche Vorstellung der Entstehung der Welt aufgezeigt. Zudem die resultierende Übermacht der Menstruierenden mit unterschiedlichen Ausgrabungsfunden und Forschungen belegt. Das hat mich in einen sehr alten Priesterinnenkult mit hineingenommen, den wir prompt auf die Bühne gebracht haben.

Der Dialog beginnt um Musik und Menstruation zu vereinbaren


Danach ging es ins Gespräch. Ich hatte plötzlich so viel Wissen, zwischen jedem Leitfrageninterview las ich Neues, lernte Neues und so wurden die Interviews immer länger. Einige Gespräche dauerten sogar 2 Stunden, was das Schneiden der Interviews erheblich in die Länge zog. Ich habe mit Freunden und Kommilitonen gesprochen. Es haben sich auch Frauen gemeldet, die ich vorher nicht kannte, oder zumindest nicht gut.

Photo Credits: Alexandra Vildosola

Ich hätte mehr darüber reden sollen

Ganz besonders waren für mich die Interviews mit meiner Mama und Großmutter. Ich konnte vieles ganz anders begreifen, auch aus meiner eigenen Kindheit und dem Umgang mit dem Thema in meinem Elternhaus. Am Ende des Gesprächs mit meiner Oma fragte ich sie, was sie ihrer Mutter gerne sagen würde zum Thema Menstruation. Ihre Antwort: „Dass sie einfach mehr darüber hätte sprechen sollen.“ Ich fragte also auch, was sie ihrer Tochter gerne sagen würde. Da schmunzelte sie: „Dass ich mehr mit ihr darüber hätte reden müssen.“

Musik und Menstruation ist divers

Im Nachhinein etwas schade für mich ist, dass sich kein Mann auf meinen Aufruf gemeldet hat. Ich hoffe sehr, dass sich für die Weiterentwicklung auch Nicht-Menstruierende für dieses Gespräch interessieren. Ich wünsche mir für die Wiederaufnahme mehr Diversität.

Wir hatten im Team viele Gespräche. Der Dialog der Rose bedeutete für uns, dass auf jeden Fall EINE Frau involviert sein soll. Aber die Gesprächsbeteiligten sind schließlich variabel. Wir können ja nicht die Hälfte der Gesellschaft ausschließen, wenn doch der Anspruch ist, die Gesellschaft geschlossen zu sensibilisieren. Menstruation ist auch ein sensibles Thema für Trans-Menschen.

Die Stimme der Gesellschaft

Aus all diesen Interviews wollten wir einen Chor der Menstruation machen. Deshalb sind die Stimmen der Nicht-Menstruierenden so wichtig. Fragen, Sorgen, Zweifel, die ein Vater hat, ein Lebensmensch, ein Bruder. Unwissenheit führt zu hilflosen Reaktionen.

Es gab verschiedene Gedanken zu diesem Chor: Zum einen war es von Anfang an die Idee der Stimme der Gesellschaft – bewusst außerhalb unseres Künstlerumfelds. Ein Dialog braucht diese Gegenseite und wir wussten nicht, wie das mit Publikum bei dieser Aufführung aussehen kann.

Der Chor ist musikalisch oft uniform, „eine laute Stimme“, doch bei uns wurden unterschiedliche Stimmen laut. Es war mir sehr wichtig, nicht nur Horrorgeschichten auszuwählen. Im Mittelpunkt der ersten Szene steht eine schöne Geschichte: Ein junges Mädchen, dass diesen Tag als einen ganz besonderen Frauentag erlebt hat.

Dialogue with a rose: Die Frauen entdecken eine Kraft in sich

Und dann kam als drittes Element von Musik und Menstruation unsere Cellistin Kiara Konstantinou hinzu. Sie bot mir gleich im ersten Gespräch an, elektronische Musik für die Soundscapes zu komponieren. Zuerst ist da das Stück „Fluch und Gift“ über die Geschichte der Menstruation, es ist die Hinführung zu unserer Priesterinnenszene. Mystisch, die Frauen entdecken eine Kraft in sich und ihrer Menstruation.

Das zweite Stück heißt „ProMens“ und ist ein empowerndes Resümee unserer Recherche, unseres Dialogs und unseres Konzertes. Die Frauen in den Interviews haben uns starke, prägende Sätze mitgegeben – ein magischer Moment, der uns jedes Mal zu Tränen rührt.

Photo Credits: Alexandra Vildosola

Ja, wir bluten, gewöhnt euch dran

Das Genre Lied ist ziemlich alt, so auch dessen Texte. Magdiel Baptistin Vaillant arrangierte die klassischen Stücke, die für Klavier geschrieben wurden, für Streichquartett. Wir wollten so nah wie möglich am Original bleiben und trotzdem ist der Unterschied zwischen einem Klavier und einem Streichquartett gigantisch. Das bedeutete viel Arbeit für die vier Musikschaffenden. So suchten und suchen wir gemeinsam immer bessere Varianten. Hier wurde noch Last minute eine Stimme getauscht oder dort ein Ton hinzugefügt.

Drei eigene Kompositionen für das Streichquartett kamen ebenfalls von Magdiel. „Bleeding“ setzt sofort nach dem heilenden Soundscape „Pro Mens“ ein. Deutlich aggressiver: Das Blut pulsiert durch die Adern, lebenswichtig, wir haben keine Angst davor. Ja, wir bluten, gewöhnt euch daran.

Große und kleine Unfälle


Am Ende war die größte Herausforderung die komplexe Raumakustik. Der Klang im Zuschauerraum – atemberaubend. Auf der Bühne – ein verschwommenes Wabern, dass es quasi unmöglich machte, dem Gesang oder dem Quartett zu folgen. Noch extremer für ein Stück, bei dem die Musikschaffenden mit dem Soundscape zusammen musizieren sollten.

Hier musste also eine Notfalllösung her: Spontan habe ich das Soundscape vom Interface mit Kopfhörern abgenommen und dazu dirigiert.

Natürlich fehlen bei einer solchen Produktion die großen und kleinen Unfälle nicht. Während des Videodrehs gab es zwei fixe Kameras, eine stand direkt vor mir, die andere diagonal im Raum. Der Kameramann war das gesamte Konzert bei der Diagonalen. Ab und zu warf er einen Blick auf die Totale, um das Bild zu überprüfen und ging dann zurück.

Ich stelle mich also zum Dirigieren hin: Mit Kopfhörern im Ohr und Noten vor der Nase, sodass ich mich keinen Zentimeter zur Seite bewegen konnte. Anschließend gebe den Einsatz und der Kameramann bewegt sich direkt vor mich und bleibt konsequent das ganze Stück lang dort stehen. Ich kam ganz schön ins Schwitzen bei dem Versuch auf Zehenspitzen meine Arme weit genug in die Höhe zu heben. Schließlich muss ich irgendwie für meine Musizierende sichtbar sein. Ich glaube, bis wir die Aufnahme gehört haben, glaubte niemand von uns, dass wir wirklich zusammen waren.

Photo Credits: Alexandra Vildosola

Ich will mich nicht schämen

Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich genau die fünf Mitglieder für das Konzept bekommen habe, die ich wollte. Fünf sehr unterschiedliche Charaktere und es war mir eine Freude, diese auch ein wenig zu benutzen: egal ob kämpferisch, unschuldig oder neugierig. Wir konnten sogar eine persönliche Geschichte einbauen, die ich hier nicht verrate. Und es gab auch interessante Diskussionen in den Proben. Eine Szene, in der Mara von den anderen Musizierenden übergriffig bedrängt wird, um ihr die Freude über ihre erste Menstruation zu nehmen und Schamgefühl aufzuzwingen. Maras Reaktion darauf: “Also ich werde gerade wütend, ich will mich nicht schämen“. Wir hatten ein Gespräch darüber, wie das vor 10 Jahren war, diese Entwicklung wollen wir ja auch im Konzert zeigen. Das ist für mich ein elementarer Teil der Arbeit als Team, den wir sicher noch weiter pflegen werden. Wir sind eben auch im Dialog untereinander und mit uns selbst.

Drei Proben weniger muss man erstmal reinholen

Es waren nur noch wenige Monate, als wir die Zusage zum Wettbewerbsfinale bekamen. Und damit auch die Unterstützung der Hochschule, das Konzert zu produzieren. Wir machten also einen genauen Zeitplan, der sehr eng getaktet war. Dann erkrankten zwei unserer Musizierenden an Corona und es fielen drei Proben ersatzlos aus. Plötzlich waren wir unter gewaltigem Zeitdruck. Es ging nur darum, ein vollständiges Konzert auf die Bühne zu bekommen, Entwicklung muss warten. Das ist die bittere Wahrheit des Musikbusiness in der Coronapandemie. Die wirkliche Arbeit passiert im Miteinander, welche diese Tage so schwierig war und ist.

Photo Credits: Alexandra Vildosola

Musik und Menstruation hat uns alle bewegt

Die Arbeit an dem Projekt hat uns als Ensemble alle bewegt und vielleicht auch verändert. Ich führe inzwischen Zyklustagebuch, was mir selbst und meiner Beziehung guttut. Ich habe meine Kommunikation erweitert und verändert. Besonders spannend sind für mich die Gespräche mit meinen Brüdern.

Ich freue mich über Situationen, in denen mir Menstruierende und Nicht-Menstruierende gesagt haben, dass es sie nun zum Nachdenken bringt. Wie sie mit ihren Töchtern über Menstruation sprechen, sich ihrem Partner verständlich machen und mit ihren Eltern ein Gespräch nachholen möchten. Aber eigentlich wünsche ich mir noch mehr Plattform für diesen Dialog und ich möchte mehr Leute ins Boot holen. Wir sprechen nun von einem sich ausdehnenden Dialog. Wir hatten diesen mit uns selbst und das ist ein Anfang. Das ist wie das Erforschen, Ertasten und Riechen an dem eigenen Blut.

Wir hatten den Dialog untereinander als Ensemble und ich in den Interviews mit einzelnen Frauen. Es fehlt die Ausdehnung. Es war eine besondere Erfahrung, ein Konzept, das für einen Live-Dialog geschaffen war, in ein Video gepresst zu sehen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob mich das befriedigt.

Du kannst nicht zweimal das gleiche Konzert spielen

Wie geht es nun weiter für uns? Wir haben uns als Team dazu entschlossen, “dialogue with a rose“ zu unserer Konzertreihe zu machen. Momentan stecken wir alle in der Organisation, aber auch das Konzept von Musik und Menstruation lebt, entwickelt sich. Denn die Entwicklung in der klassischen Musik ist mir wichtig. Wenn wir behaupten, dass sie nicht tot sei, müssen wir sie auch wie etwas Lebendiges, Atmendes, sich Veränderndes behandeln. Frei nach Heraklit: “Du kannst nicht zweimal das gleiche Konzert spielen.“

Photo Credits: Alexandra Vildosola

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Juli 23, 2021
Kühn, wild, existentiell – so macht Alexandra Vildosola Konzerte, ständig auf der Suche nach Orten, Themen und Musik, die als Gesamtkunstwerk Konzerterleben provozieren. Die Wahlberlinerin möch te nichts verpassen – Literatur, Kultur, Politik und ihre Welt, denn daraus macht sie Konzerte. Alexandra Vildosola hat klassischen Gesang an der HfM in Nürnberg studiert und beginnt nun die experimentelle Musikbranche als Konzertdesignerin zu erforschen. | Webseite | Facebook | Instagram

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